
4. Kapitel
Das Haus war heruntergekommen. An vielen Stellen platzte die oberste Putzschicht ab, an den Fenstern blätterte der Lack. Ela war es egal, seit drei Jahren ging sie hier ein und aus. Ralle, ihr Freund, wohnte hier, im selben Viertel, in dem auch Ela wohnte, vielleicht vier, fünf Gehminuten von ihrer Wohnung entfernt. Sie klingelte nicht, es war selbstverständlich für sie, den Schlüssel zu nehmen, den sie schon lange hatte. Aus dem Briefkasten, der Ralle gehörte, einem von dreien, die seitlich im Eingang mit den vier zur schweren Holztüre führenden Stufen angebracht waren, lugte Reklame vom nahe gelegenen Lebensmittelmarkt und ein Brief hervor, ein Brief, der eher amtlich wirkte, keine bunt-ansprechende Werbesendung, sondern ein schmuckloses weißes Kuvert, Adressat: Ralf Binder, Meisenstraße 23, usw.
Ela nahm die Post, öffnete die Haustüre und ging schnell durch den Flur und dann die eine Treppe hinauf. Sie klingelte auch oben, vor der Wohnungstür nicht, sondern schloss auch diese Tür, ebenfalls eine alte Tür mit undurchsichtigen Glasornamenten, mit ihren Schlüsseln auf. Jetzt würde Ralle sowieso noch im Bett liegen und ihr Klingeln nicht hören. Wie so oft hing ein eigenartiger Muff in der Wohnung. Ela ging zunächst in die Küche. Auf dem Küchentisch standen zwei Töpfe, einer mit zu einem einzigen Klumpen verkochten Nudeln, einer mit einer Tomatensoße, daneben zwei Teller, jeweils mit angetrockneten Resten und auf dem Tisch außerdem inmitten von schmutzigen Gabeln und Löffeln ein Stück Käse, was vertrocknet schien. Ela warf die Post auf den Tisch, Sie wusste, worauf zu achten war. Sie suchte in der Ecke, da, wo auch der Mülleimer stand, nach den Flaschen, ihre Anzahl würde entscheidend sein. Ela zählte acht neue leere Flaschen auf den schmuddelig-weißen Küchenfliesen stehen. Es ging nicht darum, wer wie viel, Tatsache war, es war gestern abend wieder gesoffen worden und Ralle würde nun dabei sein, nicht nur auszuschlafen, sondern wie so oft, seinen Rausch auszuschlafen. Ela wirkte nicht aufgebracht – hektisch, sondern ruhig und besonnen, nahm eine der leeren Flaschen, verließ die Küche, wandte sich im Flur in Richtung Wohn-Schlafzimmer, sah beim Eintreten in dem in der linken Ecke des Zimmers stehenden Bett Ralles Kopf mit fettig-zerzausten Haaren unter dickem Bettzeug, der sich nicht regte. Nur ein leises Schnarchen war zu vernehmen. Elas Griff um die Flasche wurde fest, sie holte aus, hob die Flasche über ihren Kopf und schmiss sie dann mit voller Wucht gegen das zwischen den beiden Fenstern gelegene Wandstück. Es knallte laut, Scherben sprangen von der Wand ab zu Boden, teils direkt unter die Wand, teils mitten ins Zimmer hinein, verteilten sich auf die beiden Sessel und das Sofa, die im Raum standen. Scherben landeten auch auf dem kleinen Wohnzimmertisch, auf dem leere Gläser, ein halb gefüllte Vielfalt – Knabberei - Behältnisse und einige Teile einer Tageszeitung lagen. An der Wand war die Stelle des Aufpralls deutlich zu sehen, ein Stück oberhalb des kleinen Posters, das dort hing, ein richtiges kleines Loch im Putz war zu erkennen. Im Bett regte sich was, ein Stöhnen, Ralle, der mühsam seinen Körper aufrichtete, Doch bevor er etwas sagen konnte, drehte sich Ela um, rannte zur Wohnungstür, öffnete sie, trat hinaus und zog die Tür hinter sich mit aller Kraft zu, sodass sie mit lautem Knall zudonnerte und und von de Wucht nachvibrierte. Ela rannte die Treppen ins Erdgeschoss hinunter, eilte durch den steinernen Flur und stürzte nach draußen. Ela stand nun vor dem Haus, zögerte nun, welche Richtung sie nun einschlagen sollte, ließ einen kurzen Blick nach oben gleiten, in die obere Etage, wo sich keines der verrotteten Fenstern öffnete. Ela wandte sich nach rechts und ging mit festem Schritt die Fassaden entlang, die bereits nach zwei Ecken wieder gepflegter waren.